GVO: Pressemitteilung der EU-Kommission

Kartellrecht: Kommission erlässt überarbeitete Wettbewerbsregeln für den
Waren- und Dienstleistungsvertrieb


Die Europäische Kommission hat eine neue Gruppenfreistellungsverordnung
für Vereinbarungen zwischen Herstellern und Vertriebshändlern für den
Verkauf von Waren und Dienstleistungen angenommen. Die Verordnung und
die dazugehörigen Leitlinien tragen der Bedeutung des Internets Rechnung,
das sich in den letzten zehn Jahren für den Online-Verkauf und den
grenzüberschreitenden Handel zu einem wichtigen Vertriebskanal entwickelt
hat und dessen Entwicklung die Kommission im Interesse einer breiteren
Produktauswahl für die Verbraucher und im Interesse des Preiswettbewerbs
fördern möchte. Nach wie vor gilt der Grundsatz, dass die Unternehmen selbst
entscheiden, wie ihre Produkte vertrieben werden. Voraussetzung ist
allerdings, dass diesbezügliche Vereinbarungen keine Preisabsprachen oder
anderen Kernbeschränkungen enthalten und keine der beiden Seiten –
d. h. weder Hersteller noch Vertriebshändler – mehr als 30 % am jeweiligen
Markt besitzt. Zugelassene Händler dürfen die Produkte ohne
Mengenbeschränkungen über das Internet verkaufen. Zudem gibt es weder
Einschränkungen in Bezug auf den Standort der Kunden noch die Preise.

„Für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft und für die
Verbraucherwohlfahrt ist eine klare und berechenbare Anwendung des
Wettbewerbsrechts auf Liefer- und Vertriebsvereinbarungen unerlässlich. Dabei
muss den Händlern überlassen bleiben, ob sie ihre Kunden in ihrem eigenen
Geschäft oder aber über das Internet bedienen. Die heute erlassenen
Bestimmungen sollen sicherstellen, dass die Verbraucher die von ihnen
gewünschten Waren und Dienstleistungen an jedem beliebigen Ort in der
Europäischen Union zum günstigsten Preis kaufen können. Gleichzeitig müssen
Unternehmen ohne Marktmacht die Möglichkeit haben, ihre Verkaufsnetze
bedarfsgerecht zu organisieren“, so Kommissionsvizepräsident und EUWettbewerbskommissar Joaquín Almunia.
Die Kommission hat heute eine neue Gruppenfreistellungsverordnung für
Vertriebs- und Liefervereinbarungen, sogenannte „vertikale Vereinbarungen“,
erlassen, die verschiedene Ebenen der Produktions- und Vertriebskette regeln. Es
gibt zigtausende solcher vertikalen Vereinbarungen, so dass die erfolgte
Überarbeitung der geltenden Regeln für viele Unternehmen und Verbraucher von
Bedeutung ist. Die derzeitige Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) für vertikale
Vereinbarungen und die dazugehörigen Leitlinien sind zehn Jahre alt.

Wie ihre Produkte vertrieben werden sollen, entscheiden nach wie vor die Hersteller.
Um allerdings den Rechtsvorteil der Gruppenfreistellung in Anspruch nehmen zu
können, darf der Marktanteil eines Herstellers höchstens 30 % betragen. Außerdem
dürfen Liefer- und Vertriebsvereinbarungen keine Kernbeschränkungen des
Wettbewerbs enthalten. Als Kernbeschränkungen gelten unter anderem feste
Weiterverkaufspreise oder Einschränkungen für den Handel im europäischen
Binnenmarkt.
Nach den neuen Bestimmungen gilt die bisherige Marktanteilsschwelle von 30 %
fortan nicht nur für die Hersteller, sondern auch für Vertriebs- und Einzelhändler. Auf
diese Weise soll der Erkenntnis Rechnung getragen werden, dass auch Abnehmer
über Marktmacht mit potenziell nachteiligen Auswirkungen auf den Wettbewerb
verfügen können. Die Neuerung kommt kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) –
ob Hersteller oder Einzelhändler – zugute, die ansonsten Gefahr laufen würden, vom
Vertriebsmarkt ausgeschlossen zu werden.
Dies bedeutet allerdings nicht automatisch, dass Vereinbarungen zwischen
Unternehmen mit höheren Marktanteilen als 30 % illegal sind. Die Unternehmen
müssen nur zuvor prüfen, ob ihre Vereinbarungen wettbewerbsbeschränkende
Klauseln enthalten und ob diese gerechtfertigt sind.
In den neuen Bestimmungen wird auch ausdrücklich auf den Online-Verkauf
eingegangen. So dürfen zugelassene Vertriebshändler die Produkte, die sie in ihren
regulären Geschäften und Verkaufsstellen verkaufen, auch auf ihren Websites
anbieten. Für selektive Vertriebssysteme bedeutet dies, dass die Hersteller den
Vertriebshändlern für den Internetverkauf weder Mengenbeschränkungen auferlegen
noch höhere Preise für online verkaufte Produkte verlangen dürfen. Außerdem ist in
den überarbeiteten Leitlinien klargestellt, was im Rahmen des Alleinvertriebs unter
„aktivem“ und „passivem“ Verkauf zu verstehen ist. Ein Abbruch einer Transaktion
oder die automatische Umleitung von Verbrauchern aufgrund von
Kreditkartenangaben, die erkennen lassen, dass sich ein Käufer im Ausland
befindet, ist nicht erlaubt.
Die neuen Bestimmungen geben den Händlern eine solide Grundlage und einen
konkreten Anreiz für den Ausbau ihres Online-Geschäfts, damit sie so einen
größeren Kundenkreis innerhalb der Europäischen Union erreichen (und auch von
mehr Kunden erreicht werden können) und die Vorteile des Binnenmarkts in vollem
Umfang nutzen können.
Natürlich steht es den Herstellern nach wie vor frei, ihre Vertriebshändler nach
Qualitätskriterien auszuwählen, die sich auf die Präsentation der Produkte beziehen,
und zwar unabhängig davon, ob die Vertriebshändler die Produkte in einem
Geschäft oder online anbieten. So können Hersteller sich dafür entscheiden, nur mit
Händlern zu arbeiten, die über ein oder mehrere Geschäfte verfügen, in denen die
Kunden die Produkte noch persönlich in Augenschein nehmen und ausprobieren
bzw. testen können. Diesbezüglich wird die Kommission konzentrierte Märkte, zu
denen Discounter (reine Internet-Discounter und herkömmliche Discountgeschäfte)
eventuell keinen Zugang haben, besonders beobachten.
Die neuen Bestimmungen werden im Juni in Kraft treten und mit einer einjährigen
Übergangsphase bis 2022 gelten.

[EU-Kommission IP/10/445, Brüssel, 20. April 2010]

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