Wie Legenden entstehen – Eine Marken- und Handelsperspektive von Dr. Bodo Kubartz
Kürzlich hat der Autor und Parfumexperte Michael Edwards sein neues Buch „Perfume Legends II – French Feminine Fragrances“ publiziert. Dort nennt er 52 Parfumlegenden, das Who is Who der Düfte: Von Fougere Royale (1882) bis Portrait of a Lady (2010). Wie sie entstanden, wer sie kreiert hat, welche Geschichten damit verbunden sind. Ein Museum in Buchform, ein reicher Schatz. Die Kriterien für eine Legende? 1.) ein innovativer Akkord; 2.) ein Duft als Trendsetter; 3.) eine nachhaltige Dufterscheinung.
Konträr dazu: der aktuelle Markt. Eben jener Edwards nennt im Gespräch bei der Pitti Fragranze, Florenz, zwei atemberaubende Zahlen: 2800 Parfumlancierungen in 2018, 1300 davon Nischendüfte.
Zwischenblende: Der Duft- und Modeconsultant Marco Ricchetti stellte in Florenz die Studie „The Artistic Perfumery Sector in Europe“ vor. Darin gemonitort: 250 artistic perfumery-Marken, 150 davon mit Finanzinsights, ergänzt durch Daten aus Fragebögen und Interviews, auch mit Händlern. Drei Resultate sind beachtenswert:
1.) Die Kurve für artistic perfumery zeigt nach oben. Mit artistic perfumery wurden 2018 Verkäufe im Umfang von ca. €1,1 Mrd. (Verkaufspreise) gemacht; das sind 9,2% aller Parfumverkäufe und 1,4% des Gesamtbeautyverkaufes. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Einnahmen (zu Wareneinkaufspreisen) um ca. 10% gestiegen.
2.) Der Umsatz wird von sehr wenigen großen Nischenunternehmen generiert, die zudem stärkeres Jahreswachstum zeigen als die „kleine Nische“. Interessant: Wenn große Nischenunternehmen von Multi-Markenfirmen übernommen werden, fallen sie zunächst in ein Umsatzloch. Erst nach ein paar Jahren erholen sie sich wieder.
3.) Befragungen italienischer Händler mit Fokus Nische brachten Interessantes: Eine stringente und fortlaufende Markenüberprüfung und –auswahl auf Identität und Persönlichkeit wird als sinnvoll erachtet; Training und Weiterbildung haben einen überaus hohen Stellenwert; Strategien, junge Endverbraucher zu gewinnen, werden als besonders notwendig erachtet; die Nutzung digitaler Technik für Kommunikation, Marketing, Verkauf und Management gilt es zu verbessern.
Was zeigt die Zusammenschau der Sachverhalte von Edwards und Ricchetti?
Machern neuer Marken und Produkte ist zu raten: Das Genre ist zwar offen für Neues, aber den richtigen Platz zu finden ist weder trivial noch günstig. Die Nische hat sich, auch durch das Mitspiel von Investoren und Multibrand-Aufkäufern, immens professionalisiert. Der lange Atem kostet. Investments fallen meist höher aus als zunächst gedacht. Ohne wirkliche Widmung für die Sache gelingt Marktpersistenz nicht.
Händlern mag man an die Hand geben: Die regelmäßige Markenüberprüfung auf Herz und Nieren macht Sinn. Exklusive Marken sind nicht nur Kriterium der Alleinstellung. Sie laden ein, sich über das Geschäft der Zukunft Gedanken zu machen: Was zählte in der Vergangenheit, was heute, was kann morgen wichtig sein? Beratungskompetenz, Multi-Channel, Category Management – alles wichtige Komponenten, um im Wettbewerb zu bestehen. Doch die Parfümerie lebt von, mit und durch Persönlichkeiten, die quer denken – für den innovativen Handel von morgen. Und das wird gefragt sein: Neue, ungewöhnliche Wege gehen. Wir dürfen gespannt bleiben.
[Text/Bild: Dr. Bodo Kubartz, Passion and Consulting]