Autofreie Innenstadt bedeutet freie Fahrt für den Onlinehandel. Dr. Andreas Leistikow über eine Studie die Sicherheiten in Frage stellt: Shoppingbummel und Erlebniseinkauf machen am meisten Spaß in autofreien oder verkehrsberuhigten Innenstädten. – Das ist die Strategie, nach der die Städteplaner zunehmend ihre Verkehrspolitik ausrichten. Diese Ansicht könnte Risse bekommen, zumindest was süddeutsche Klein- und Mittelstädte anbelangt, wie eine Erhebung der AMICA Parfümerien Bittel zeigt. Teilgenommen an der Befragung von 1000 ausschließlich kaufenden Kunden haben im Juni dieses Jahres 13 der 26 AMICA-Filialen, beispielsweise Ravensburg, Wangen, Kempten i.A. oder Böblingen.
Autofreie Innenstadt bedeutet freie Fahrt für den Onlinehandel
Abgefragt wurde zunächst, ob der Konsument weniger oder mehr als fünf Kilometer zurücklegte, um die Parfümerie zu besuchen. Dann ging es ans Eingemachte: Welches Verkehrsmittel wurde genutzt? War es das Fahrrad, die Bahn, der Bus, das Auto oder kam der Kunde zu Fuß?
93,4 % der befragten Kunden den Individualverkehr – Auto, Rad oder zu Fuß
Das Ergebnis in Sachen Entfernung ergab: Etwas mehr als die Hälfte, genau 52 %, haben mehr als fünf Kilometer zurückgelegt, um in eine der Verkaufsstellen zu kommen. Das zeigt eine hohe Abhängigkeit von den Kunden, die von außerhalb kommen und weite Wege zur Parfümerie zurücklegen müssen. Von den befragten Kunden nutzen 93,4 % den Individualverkehr. Das heißt, die überwältigende Mehrheit kam mit dem Auto, dem Rad oder zu Fuß. Nur 6,6 % der kaufenden Kunden nahm die Dienste des ÖPNV in Anspruch (siehe Kasten).
Nahverkehr selbst auf der Kurzstrecke schwach – Innenstadthandel hochgradig vom Auto abhängig
Selbst auf der Kurzstrecke sah es für den öffentlichen Nahverkehr nicht viel besser aus. Über ein Drittel der Verbraucher verließ sich lieber auf die eigenen Füße als auf die Zuverlässigkeit von Bus und Bahn. Gut die Hälfte der Befragten bevorzugte auch bei einer geringeren Entfernung das Auto. Simon Bittel, Inhaber der Parfümerie Bittel und Geschäftsführer der AMICA Parfümeriehandels- und Beteiligungsgesellschaft, zieht daraus die folgenden Schlüsse:
„Der hochwertige Innenstadthandel in ‘unseren‘ Städten ist hochgradig vom Individualverkehr und in erster Linie von Autofahrern abhängig. Kein anderes Verkehrsmittel hat auch nur annähernd eine ähnliche Relevanz. Vor allem die Kunden von auswärts nutzen das Auto mit überwältigender Mehrheit. Das Problem dabei ist: Diese Kunden werden politisch nicht gehört, weil sie zumeist keine Stimme bei der Gemeinderatswahl haben, weil sie in einer anderen Stadt wohnen.“
Radfahrer sind wichtiger als der komplette ÖPNV – bei bestem Wetter
Zudem hat sich gezeigt, dass Radfahrer wichtiger sind als der komplette ÖPNV. ABER: Die Befragung fand bei bestem Wetter statt. Die Tendenz aus anderen Befragungen ist: Radfahrer werden bei Schnee, Eis und Regen sowie großer Hitze mehrheitlich zu Autofahrern. Die Tendenz, bei schlechtem Wetter vom Rad auf das Auto umzusteigen, würde die Wichtigkeit des Autoverkehrs für die Umsätze in den Städten noch erhöhen.
Autofreie Innenstadt – Kunden lassen sich nicht umerziehen
Simon Bittel führt weiter aus: „In den von uns beobachteten Städten ist der Versuch, Kunden auf andere Verkehrsmittel ‘umzuerziehen‘, zumindest aus Sicht des Handels überall gescheitert. Zu Großstädten können wir keine Aussage machen, da wir dort nicht vertreten sind. Keiner unserer Standorte hat eine U-Bahn oder innerstädtische S-Bahn. Was vielleicht in Großstädten funktioniert, funktioniert nicht in Mittel- und Oberzentren.
Der Handel in PKW-freundlichen Städte gewinnt dagegen sehr deutlich bei Frequenz und Umsatz. Dabei geht es NICHT in erster Linie darum, Autos in den Einkaufslagen, ob oberirdisch oder direkt vor den Geschäften, zuzulassen. Es geht darum, dass Autos bequem und schnell in die Stadt kommen und dort zentrumsnah und günstig parken können. Parkplatznahe Lagen werden interessanter, während gleichzeitig teilweise die Zentrumslagen an Attraktivität verlieren.“
Sterbende Innenstädte sind ein Horrorszenario für jeden Kommunalpolitiker
Möglicherweise verbessern sich die Chancen der Fachhändler, sich Gehör zu verschaffen. Sterbende Innenstädte sind ein Horrorszenario für jeden Kommunalpolitiker, und so langsam dämmert es dem einen oder anderen, dass sich die bisherigen Konzepte als wenig tauglich erwiesen, trostlose, von Leerständen geprägte Fußgängerzonen in wieder blühende Shopping-Landschaften zu verwandeln. Erste Tendenzen eines Umdenkens sind zu erkennen. Die FDP beispielsweise will den Einzelhandel stärken, indem die Innenstädte auch für Autofahrer erreichbar bleiben. Laut eines Beschlusses, den das Präsidium im Mai gefasst hat, sollen die Städte und Gemeinden unter anderem kostenloses Kurzparken ermöglichen.
Für viele Städte und Handelsbetriebe in Süddeutschland ist es ‘5 vor 12‘
Simon Bittel zieht das folgende Fazit: „Noch verfügen wir in Süddeutschland über eine gute Handelssubstanz, gut eingeführte und etablierte (Traditions-) Handelsunternehmen und eine hohe Aktivität und Innovationskraft in vielen Betrieben. Unsere Fachhandelsstruktur ist einzigartig! Für viele Städte und Handelsbetriebe ist es aber ‘5 vor 12‘! Es liegt an der Politik, die Weichen nicht nur so zu stellen, dass die Umwelt geschützt wird und die Städte klimaresilienter werden, sondern dass auch das Kulturgut, Erlebnis- und Begegnungszentrum ‘Stadt‘ erhalten bleibt und auch zukünftig Menschen anzieht!“
In Klein- und Mittelstädten schwindet die Lust auf den Shoppingbummel ohne Individualverkehr
Bisher war für die Städteplaner die Verbannung des Autos nahezu alternativlos, um in den Zentren eine Wohlfühl-Atmosphäre für die Menschen zu schaffen. Die Erhebung der AMICA Parfümerien Bittel indessen legt dar, dass dem Endverbraucher die Lust auf Shoppingbummel und Erlebniskauf bei Einschränkung des motorisierten Individualverkehrs durchaus vergehen. Das gilt zumindest für die Klein- und Mittelstädte in Baden-Württemberg. Interessant wäre eine ähnliche Untersuchung für die Großstädte.
Weniger Autos in der Stadt bedeuten freie Fahrt für den Onlinehandel
Eines sollte jedoch auch den Politikern klar sein, die sich den Umweltschutz auf die Fahne geschrieben haben, und das sind so gut wie alle: Weniger Autos in der Stadt bedeuten freie Fahrt für den Onlinehandel. Pakete und die entsprechend hohe Quote an Retouren in der Gegend herumzuschicken, kann allerdings nicht als nachhaltig betrachtet werden. Auf die Gesamtbilanz des ökologischen Nutzens kommt es an!
[Text: Dr. Andreas Leistikow Bilder: Dr. Andreas Leistikow/Parfümerie Bittel e.K./AMICA GmbH]