Echt und Glaubwürdig im Netz – Kundenbindung vor dem Kauf! Die zunehmende Digitalisierung verändert das Kundenverhalten. Sowohl weit vor dem Kauf, als auch am Point-of-Sales (POS): 65% aller Deutschen, egal welchen Alters, sind mindestens einmal täglich online. Über die Hälfte der Konsumenten haben vor ihrem letzten Kauf online zu einem Produkt recherchiert. Für 20% ist das Internet dabei mittlerweile die alleinige Informationsquelle. Was bedeutet das für die Online-Kommunikation das erläutert Michael Nenninger, Markenflüsterer, Co-Founder und CEO der Voycer AG bei der Parfümerietagung 2017 in Düsseldorf.
Empfehlungen von Freunden und Produktbewertungen sind
63% der Konsumenten erfahren zuerst online von einem Angebot, während nur ein Zehntel über Werbung auf ein Produkt aufmerksam wird. Genauso halten nur ca. 19% der Konsumenten Online-Werbespots oder –Banner für glaubwürdig, während hingegen 88% der User Empfehlungen von Freunden oder Online-Produktbewertungen Vertrauen schenken.
Online-Handel: Anforderungen steigen
Dieses Verhalten setzt sich natürlich auch am POS fort: Die Kunden informieren sich nicht nur im Internet, sie kaufen auch immer mehr online. Aktuell bedeutet das zum Beispiel in der Branche Consumer Electronics, dass knapp 20% des Umsatzes online erwirtschaftet werden. Ähnlich ist es in der Fashion-Branche mit 19% Onlinegeschäft. Die Digitale Transformation des Geschäftsmodells ist notwendig, denn der Konsument bewegt sich immer mehr in der digitalen Welt. Handelsunternehmen müssen sich in Märkten, die sich immer stärker digitalisieren, komplett neu aufstellen. Ein Shop und die herkömmlichen Online-Marketing-Instrumente reichen schon lange nicht mehr aus, um am wachsenden Online-Handel gewinnbringend zu partizipieren.
Es bedarf neuer Strategien für eine klare Wettbewerbspositionierung, um gegen schrumpfende Margen anzukämpfen und sich beim Kampf um Marktanteile erfolgreich zu behaupten.
Nie dagewesenen Transparenz im Markt und höhere Kosten
Suchmaschinen und Preisvergleichsportale haben zu einer nie dagewesenen Transparenz im Markt geführt: Auf einen Blick kann der Konsument ein Produkt online bei mehreren Anbietern vergleichen – vor allem hinsichtlich des günstigsten Preises. Hinzu kommen Gutscheinportale, die insbesondere Erstkunden mit zusätzlichen Rabatten zu Anbietern locken.
Gleichzeitig fordert gerade auch diese zunehmende Anzahl an vorgeschalteten (aber eigentlich unerwünschten) Instanzen ihren Anteil am Verkaufserlös. Das führt nicht nur zu einem enormen Preisdruck, sondern belastet zunehmend die Margen der Handelsunternehmen.
Druck durch Amazon und Lieferanten
Das Erfolgsrisiko erhöht sich zusätzlich durch die Erweiterung der Marktteilnehmer. Hier entsteht der Druck zum einen durch den einzigartigen Erfolg von Amazon mit rund 31% Anteil am Online-Markt (zuzüglich des erheblichen Marketplace-Umsatzvolumens von Partnerhändlern) und einer fast doppelt so schnellen Wachstumsgeschwindigkeit wie der Durchschnitt.
Zum anderen drängen immer mehr Hersteller mit Direktvertriebsansätzen in den schnell wachsenden Online-Markt. Ziel dabei ist es, die Distributionskette zum Konsumenten zu verkürzen, aber vor allem auch, mehr Informationen über die Kunden und deren Bedürfnisse zu erhalten.
Diese Entwicklung setzt sich von den ersten Ansätzen in den Segmenten Sport und Fashion mittlerweile in alle Bereiche, von Automotive über Energie bis zu Fast Moving Consumer Goods, fort.
Anbieter versuchen, sich über den billigsten Preis zu positionieren
Differenzierung in den klassischen Handelsfunktionen kaum noch möglich: Betrachtet man die typischen Funktionen des Handels, stellt man schnell fest: Die meisten (Online-) Anbieter versuchen, sich über den billigsten Preis zu positionieren.
Andere Händler setzen auf ein umfangreiches Sortiment, wobei hier Amazon in Verbindung mit seinem Marketplace-Ansatz den Markt erfolgreich dominiert. Zudem hat Amazon mit „Amazon Prime“ die Lieferung innerhalb von 24h etabliert und damit Benchmarks gesetzt. Same Day Delivery wird mittelfristig ebenfalls kaum ausreichende Differenzierungspotentiale für einzelne Anbieter liefern.
Bei Preis, Sortiment und Logistik ist der Handel also fast an sein Limit gekommen — weitere Verbesserungen sind daher nur auf Kosten einer massiv reduzierten Marge realisierbar.
Auch die Bereiche Service und Information bieten aufgrund des heute bereits erreichten Niveaus in der Branche nur noch einen vergleichsweise begrenzten Spielraum für ein klares Alleinstellungsmerkmal im Handel.
Zalando setzt z.B. bereits Standards im Fashion-Retail-Markt durch kostenlose Retouren; Produktbewertungen im Online-Shop – in den Massenmarkt eingeführt durch Amazon – zählen heute zum guten Ton der Branche.
Potential zur Differenzierung bei Einkaufserlebnissen
Weitgehend freies Potential zur Differenzierung liegt hingegen in der Funktion Erlebnis: Kunden halten online immer öfter Ausschau nach Einkaufserlebnissen und wollen diese im „social“ Kontext erfahren. Sie wollen in ihrem veränderten Informations- und Kaufverhalten eine Marke emotional wahrnehmen und inspiriert werden, sich dabei allerdings als mündiger Konsument nicht nur von Werbung berieseln lassen. Vielmehr müssen individuelle Beratung, Inspiration und emotionale Begegnungen zwischen Usern im Vordergrund des Online-Einkaufserlebnisses stehen.
Empfehlungen werden als „echt“ wahrgenommen
Nicht zuletzt deswegen werden Empfehlungen von Bekannten und Produktbewertungen im Online-Shop im Vergleich zu Werbebannern als vertrauenserweckender wahrgenommen.
Diese Emotionalisierung und Individualisierung sind es, die Customer Loyalty erzeugen. Da diese Ansätze online bisher nur vereinzelt zu finden sind, gilt es für den Handel nun, dieses Differenzierungspotential auszuschöpfen und für die neuen Bedürfnisse des Konsumenten online ein interaktives Kauferlebnis zu schaffen.
Denn Kundenbindung ist das wertvollste Instrument – insbesondere im Online-Geschäft – für einen langfristigen Unternehmenserfolg.
Kundenansprache noch zeitgemäß?
Die Kernfrage lautet somit nicht nur „Wo können Händler sich noch differenzieren?“, sondern vor allem: „Ist die aktuell primär auf den Point of Sales gerichtete Kundenansprache noch zeitgemäß?“
Hierzu lohnt sich ein Blick auf den typischen Kaufentscheidungsprozess. Entsteht ein Kaufbedürfnis, holen sich Konsumenten dazu Informationen auf verschiedenen Shopseiten, Produktbewertungsportalen etc. und entscheiden sich schließlich für eine konkrete Lösung. Hierbei verlieren viele Unternehmen bereits einen beachtlichen Teil ihrer potentiellen Kunden, denn 35% der deutschen Online-Shopper informieren sich direkt bei Amazon und kaufen mit großer Wahrscheinlichkeit anschließend auch dort.
Die restlichen Kunden beginnen eine konkrete Suche nach dem gewünschten Produkt über Suchmaschinen, Preisvergleichsportale, Aggregatoren oder Gutscheinportale und treffen dort auch die Entscheidung, wo gekauft wird. Ausschlaggebend ist dabei in der Regel der günstigste Preis oder die beste Platzierung.
Kaufentscheidungsprozess von Bedeutung
Diese Hürden sind insbesondere in den Phasen unmittelbar vor dem Kauf zahlreich und durch Differenzierung kaum zu überwinden.
Die Lösung für einen echten USP muss also darin liegen, als Retailer die frühen Phasen vor dem Kaufentscheidungsprozess zu besetzen und diese Hürden somit zu umgehen. Strategisch muss das Kundenerlebnis also deutlich vor den POS gezogen werden.
Schon in der Phase vor dem konkreten Kaufentscheidungsprozess tauschen sich Nutzer mit Gleichgesinnten zu ihren Interessen aus. Dies ist die wichtigste Phase, um sich bereits frühzeitig als Marke zu relevanten Themen zu positionieren, dem Kunden schon jetzt ein Erlebnis im Kontext der Marke zu bieten und den Konsumenten so intelligent und lange vor dem Kauf an sich zu binden.
Erlebnispotential am online POS gering
Das Erlebnispotential direkt am POS ist online hingegen gering, schließlich hat der Kunde sich dort schon zum Kauf entschieden. Allerdings sucht er gerade in den frühen Phasen des Kaufentscheidungsprozesses nach Inspiration und will emotional abgeholt werden. Je früher also das Erlebnis im Kaufentscheidungsprozess stattfindet, desto stärker wird die Bindung zur Marke ausfallen.
Die Bindung erfolgt über zum Produkt passenden Kontext. In jedem Segment gibt es eine Fülle an Themen, die den entscheidenden Bedarfsauslöser für einen Kauf darstellen. So werden Drogeriemärkte zum Inbegriff für Beauty, Bekleidungsgeschäfte zum Sinnbild für Lifestyle-Fashion, Consumer-Electronics-Märkte gleichgesetzt mit Technik, Biermarken ein Symbol für Abenteuer, Weiße-Ware-Hersteller zum Inbegriff des Kochgenusses, etc.
Austausch schon vor dem Kaufbedürfnis
Marken ermöglichen Konsumenten den Austausch mit anderen Gleichgesinnten direkt auf dem eigenen Angebot – zu einem Thema, für welches der Retailer (=Marke) steht – bevor überhaupt ein konkretes Kaufbedürfnis entsteht. So entwickelt sich eine soziale Bindung zu anderen Nutzern und eine emotionale Bindung zum Thema der Marke: Der Retailer selbst wird in den Köpfen der Kunden als First Choice verankert und bindet die Kunden bereits VOR dem Kauf!
Hürden vor dem POS werden umgangen
Die Hürden direkt vor dem POS werden so wortwörtlich umgangen – der Kunde trifft erst gar nicht auf sie.
Das Instrument zur Kundenbindung vor dem Kauf ist, laut Forrester Research, das User Erlebnis auf einer eigenen Customer Community. Eine Community ist eine Online-Plattform als Treffpunkt für den wechselseitigen Austausch von Meinungen, Erfahrungen und Informationen. Dabei erzeugt eine Community ihre Anziehungskraft durch das gemeinsame Interesse an einem Thema – dem Thema passend zur Marke. User erstellen selbst Beiträge zu vorgegebenen Themen. Sie stellen Fragen und geben Antworten, diskutieren und laden Fotos und Videos hoch. Dazu müssen sie sich registrieren und ein Profil erstellen.
Suche nach Rat und Wunsch nach Anerkennung
Die Motivation der User zur Nutzung der Community liegt in der Befriedigung verschiedener Bedürfnisse: Die Suche nach Rat und Informationen, der Wunsch nach Anerkennung und Feedback, der Austausch von Meinungen und die Kontaktpflege zu Gleichgesinnten. Dieses Potential gilt es als Marke zu nutzen: Der Übergang zwischen reinem Austausch zum Thema im Kontext eines Produkts und der Entstehung eines latenten bis konkreten Kaufbedürfnisses ist hierbei fließend. Das Handelsunternehmen macht sich das neue Kommunikationsverhalten der Verbraucher, das ohnehin im Netz stattfindet, zu Nutze und bietet seinen Kunden ein Zuhause für den Austausch:
Markenbindung vor dem Kauf!
Wenn Unternehmen über Digitale Transformation sprechen und sich mit aktuellen Trends wie Content Marketing, User Journey und User Experience beschäftigen, müssen der Konsument und sein Verhalten im Mittelpunkt stehen. Händler müssen ihn in seiner Welt abholen und für seine Interessen und Bedürfnisse ein Zuhause bieten.
Das bedeutet für Marken, dass Online-Markenauftritte „social“ werden müssen, indem sie „User Engagement“ zulassen und fördern.
Digitale Transformation ist folglich nicht primär eine Frage von Online-Technologien und optimierten digitalen Prozessen, sondern vor allem die Entwicklung des Unternehmens hin zum Konsumenten und seinem Online-Verhalten. Gelingt dies, erhalten Unternehmen nicht nur den „heiligen Gral“ der Kundenbindung, den echten und langfristigen Zugang zum Kunden in Verbindung mit Consumer Insights, sondern eine echte und nachhaltige Differenzierung zum Wettbewerb.
Was bedeutet das für die Online-Kommunikation das erläutert Michael Nenninger, Markenflüsterer, Co-Founder und CEO der Voycer AG bei der Parfümerietagung 2017 in Düsseldorf. Weitere Informationen zur Veranstaltung finden Sie unter www.parfuemerietagung.de
[Text/Bild: Michael Nenninger]